Auch Wildlinge sollten ein gutes Spross-Wurzel-Verhältnis haben, zeigt Förster Carsten Arndt. Foto: Schlotmann

Neuer Wald mit Wildlingen

Die Naturverjüngung bietet einen nahezu unerschöpflichen Vorrat junger Forstpflanzen. Als sogenannte Wildlinge genutzt, sind die Sämlinge eine ­lohnende Alternative zur Baumschulpflanze – oder doch nicht?

Die Wiederbewaldung verursacht in den Forstbetrieben schon jetzt einen hohen Kostendruck. Vielfach fehlt den Waldbauern das Geld für die Anpflanzungen neuer und vor allem artenreicher Forsten. Wo sich Naturverjüngung einstellt, ist das Problem deutlich kleiner, weil sie den Bedarf von Baumschulpflanzen senkt. Aus sehr dichter Verjüngung lassen sich zudem Wildlinge für den eigenen Betrieb werben. Aber wie genau funktioniert das und welche Vorteile bringen die Wildlinge mit sich?

Ziel: Geringe Ausfälle

Wesentliches Ziel bei der Pflanzung neuer Bestände ist eine ­geringe Ausfallquote der jungen Sämlinge. Ein weiterer Aspekt sind die Kosten der Maßnahme. Martin Rogge, Wald und Holz NRW, betrachtet hierbei nicht nur die Preise bzw. Kosten der einzelnen Pflanze, sondern sämtliche Kosten bis zur gesicherten Kultur. Dazu zählt der Forstwissenschaftler die Beträge und Aufwendungen für:
– die Pflanzen,
– die Pflanzarbeit,
– Waldschutzmaßnahmen – beispielsweise Zaunbau oder Verbissschutzmittel,
– die Kulturpflege sowie
– den Anwuchserfolg der Kultur, der mitunter Kosten für Ausbesserungen bei erheblichen Ausfällen nach sich zieht.
Ein Kernproblem des Wildlings ist dabei die vergleichsweise hohe Ausfallquote. Hierbei gibt es artspezifische Unterschiede. „Ausschlaggebend ist die Robustheit der Wurzel“, sagt Rogge.

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„An der Wurzel packen“

Wildlinge sind normale Naturverjüngungspflanzen, die in keinster Weise auf das Umpflanzen vorbereitet sind. Beim „Ziehen“ des Wildlings reißen unvermeidbar Feinwurzeln ab. Je nach Baumart kann die junge Pflanze diese Verletzung mehr oder weniger gut verkraften. Nach dem Umpflanzen des Wildlings wird der gesamte Stoffwechsel für die Regeneration des Wurzelwerks genutzt. Der im Vergleich zur Baumschule deutlich geringere Feinwurzelanteil erschwert die Wurzelheilung – der Pflanze fehlen unter anderem wichtige Nährstoffe. Der Fachmann bezeichnet das als Pflanzschock. Zerrt die Wundheilung zu stark an den Kräften der jungen Pflanze, stirbt sie ab.
Grundsätzlich eignen sich für die Wildlingswerbung Baumarten, deren Wurzelsystem vergleichsweise robust ist. Dazu zählen nach Rogges Einschätzung vor allem Buche, Hainbuche und Bergahorn. Sehr sensible Wurzeln haben hingegen die Eichenarten sowie Tannen, Lärche und Douglasie. Mit dem richtigen Verfahren gelingt aber auch das Werben von Wildlingen dieser Baumarten.

Martin Rogge, Wald und Holz NRW (Bildquelle: Schlotmann)

Lockern und ausstechen

Damit möglichst wenig Feinwurzeln abreißen, muss der Forstwirt den Boden vor der Wildlingswerbung lockern. „Ziehen ohne mechanische Vorbereitung ist rausgeschmissenes Geld“, verdeutlicht Rogge. Dazu eignet sich eine Grabe­gabel. Unempfindlichere Arten wie die Buche lassen sich anschließend einfach aus dem Boden ziehen.
Für empfindliche Arten wie die Eiche eignet sich dieses Verfahren nicht. Rogge empfiehlt dafür den Hohlspaten. Damit sticht der Forstwirt einen Ballen mit mehreren Pflanzen aus. Später wird auch der gesamte Ballen wieder eingepflanzt.
Je nach Bodentyp gelingt die Wildlingswerbung besser oder schlechter. Auf lockeren und tiefgründigen Sand- oder Schluffböden ist das Ziehen der Wildlinge einfacher als auf sehr bindigen Tonböden. Gleiches gilt für sehr skelettreiche Böden. Hier scheitert häufig auch das Verfahren mit dem Hohlspaten. Weil der tonige Wurzelballen quillt und schwindet, verliert er an seinem neuen Standort schnell den Bodenkontakt. Als Faustregel gilt daher: Ballen immer in das gleiche Substrat pflanzen.

Die Wurzel schützen

„Die Kunst der Baumschulbetriebe ist es, die Pflanze und besonders die Wurzel auf das Umpflanzen vorzubereiten“, sagt Rogge. Dazu werden die Pflanzen unterschnitten und die Hauptwurzel gekappt. Das regt die Feinwurzelbildung an – diesbezüglich ist der Wildling klar benachteiligt. Sein Wurzelsystem ist feinwurzelärmer und meistens sperriger. In der Praxis sollte das Wurzelsystem nicht länger als 20 cm sein. Längere Wurzelkörper erschweren die Pflanzung, zudem gibt es weniger passende Pflanzverfahren. Die Folge sind deformierte Wurzeln und ein geringer Anwuchserfolg sowie geschwächtes Wachstum.
Weil die Wurzeln junger Pflanzen grundsätzlich schnell vertrocknen, gilt für den Transport der Wildlinge dasselbe wie für die Baumschulpflanze: Wurzeln feucht halten und schnell einpflanzen. Für die Wildlingswerbung zählt darum eine weitere Faustregel: „vormittags werben, nachmittags einpflanzen.“
Als Pflanzort eignen sich nicht alle Bestände gleichermaßen. Weil sich Naturverjüngung in der Regel vorrangig unter Schirm einstellt, sind die Sämlinge an dessen Schutz gewöhnt. Im Umkehrschluss sollten die Boden- und Lichtverhältnisse zwischen Werbungs- und Pflanzort möglichst ähnlich sein.

Revierförster Carsten Arndt hat in seinem Revier einige Bestände mit ­Buchenwildlingen vorangebaut. Die Ausfallquoten sind sehr gering. (Bildquelle: Schlotmann)

Pflanzgut nicht für überall

Für die Freifläche sind die Wildlinge aus dem Schatten grundsätzlich ungeeignet, weil die Anpassungsprozesse so viel Energie kosten würden, dass die Pflanze häufiger schlecht anwächst oder abstirbt. Zudem ist die wachsartige Schutzschicht der Blätter und Nadeln – die Cuticula – noch sehr gering ausgebildet. Bei intensiver Sonneneinstrahlung würde die Blattmasse verbrennen. Die kleinklimatischen Bedingungen sind für Wildlinge in Bestandeslücken oder Säumen wesentlich besser. Baumschulpflanzen sind die Freifläche gewohnt und dafür besser geeignet und sind diesbezüglich klar im Vorteil.

Zum richtigen Zeitpunkt werben

Die beste Zeit für die Wildlingswerbung ist während der Vegetationsruhe. Robuste Arten wie die Buche lassen sich von November bis in den April hineinziehen, sofern die Witterung passt. Sensiblere Arten wie die Eiche sollten Praktiker im Januar und Februar werben. Vor allem beim immergrünen Nadelholz ist die Wildlingswerbung eine Gratwanderung zwischen Wurzelregeneration und Verdunstung. Tannen und Douglasien transpirieren – sie atmen – schon bei niedrigen Temperaturen und verlieren dabei Wasser. Weil die Feinwurzeln häufig noch keinen ausreichenden Bodenkontakt hergestellt haben, vertrocknen die Nadelbäume deshalb. Durch den erhöhten Pflanzschock sind Wildlinge diesbezüglich sensibler als Pflanzen aus der Baumschule.

Erfahrung ist nötig

Aus Rogges Sicht ist für den Erfolg einer Wildlingskultur viel Erfahrung nötig. Den nötigen, hohen Aufwand rechtfertigen die Vorteile der Wildlinge nur selten, gibt er zu bedenken. Darum nehmen Wildlinge in der Praxis einen geringen Stellenwert ein. Baumschulen arbeiten trotz des vorhandenen Know-hows mit Saatgut statt Wildlingen. Zudem ist die Wildlingswerbung nicht förderfähig.
Nichtsdestotrotz ist sich Rogge sicher: „Sind die Bedingungen gut, bietet die Wildlingswerbung waldbauliche und wirtschaftliche Vorteile für den Forstbetrieb.“

Wildlinge sorgfältig sortieren

Revierförster Carsten Arndt vom Regionalforstamt Arnsberger Wald hat zusammen mit Martin Rogge gute Erfahrungen mit der Nutzung von Wildlingen gesammelt. In seinem Revier führte Arndt regelmäßig Buchenvoranbau mit den Pflanzen durch. Die dadurch entstandenen Waldbilder rechtfertigen die Wildlingswerbung. Allerdings bestätigt der Revierförster: „Das ist kein Selbstläufer.“
Die Auswahl der Wildlinge beginnt für ihn bereits mit der Auswahl der Mutterbäume. Obwohl sich das Potenzial der Wildlinge auch hieran nicht zu 100 % erkennen lässt, ist die Kenntnis des Ausgangsbestands für ihn der größte Vorteil der Wildlingswerbung. Der Revierförster nutzt nur die Nachkommen qualitativ hochwertiger Buchen. Dabei achtet er unter anderem auf lange und gerade Schäfte sowie einen gleichmäßigen Kronenaufbau. Auch Arndt ist ein großer Genpool wichtig. Seine Faustregel: „Die Wildlinge sollten von mindestens 20 Mutterbäumen stammen.“
Als besten Zeitpunkt empfiehlt Arndt die Wildlinge Ende November zu werben. Dafür den Boden mit einer Pflanzgabel vorlockern und die Pflanzen am besten büschelweise aus dem Boden ziehen. Die Büschel anschließend zerlegen und sorgfältig sortieren. Wildlinge mit schlechter Qualität und defekten Wurzeln fliegen aus dem Sortiment raus. Zum Schutz der Wurzel sollte der anhaftende Boden nicht abgeklopft werden. Von Wurzelschnitten rät Arndt grundsätzlich ab. Viel wichtiger sind seiner Erfahrung nach ein passendes Pflanzverfahren und vernünftige Pflanzplätze. Alles in allem schätzt Arndt die Kosten für den Wildling auf 30 bis 50 % der wurzelnackten Baumschulpflanze.
Sein größtes Problem ist der Wilddruck durch Reh-, Rot- und besonders Sikawild. Darum versucht der Förster, die Wildlinge vor allem in der Nähe bestehender Naturverjüngung anderer Baumarten ein­zubringen – seiner Erfahrung nach senkt das die Verbiss- und Fegeschäden an den jungen Pflanzen.

Gute Gene

Genau wie der Kauf von Baumschulpflanzen sind gezogene Wildlinge eine Investition in den künftigen Bestand. Auch hierbei spielt die „Herkunft“ der Pflanzen eine entscheidende Rolle. Die Qualität der Wildlinge ist nur so gut, wie die ihrer Elternbäume. Darum rät Rogge, Wildlinge nur aus Top-Beständen zu ziehen. Damit die genetische Vielfalt möglichst groß ist, lohnt es, Wildlinge verschiedener Mutterbäumen zu werben. Das bringt beispielsweise Vorteile für die spä­tere Naturverjüngung mit sich. „Erhöhte Werbungskosten, die sich langfristig aber lohnen“, sagt Martin Rogge.

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