Landesweit müssen etwa 115 000 ha wiederbewaldet werden. Damit sich die Borkenkäferkrise nicht wiederholt, sollte niemand nur auf eine Baumart setzen, sondern einen Mischwald aufforsten. Foto: Tanja Esser/stock.adobe.com

Waldzustand 2021: „Käfer lesen keine Fachbücher“

Die Wälder im Hochsauerland prägt vor allem eine Baumart: die Fichte. Zumindest bislang, denn der Borkenkäferfraß hat die Nadelbaumart auch dort stark dezimiert. Trotzdem ist sie nicht das einzige „Sorgenkind“.

Interview mit Frank Rosenkranz, Leiter des Regionalforstamtes „Oberes Sauerland“ in Schmallenberg

Frank Rosenkranz. Foto: Wald und Holz NRW

Wie geht es dem Wald im Hochsauerland?

Besser als in den vorherigen Jahren. Bis Ende Mai hatten wir echtes „Försterwetter“. Das heißt es war kühl und regnerisch. Dadurch hatten wir in den Böden eine gute Wassersättigung, geringen Käferdruck und die Fichten produzierten erstmals wieder nennenswert Harz. Anfang Juni startete der Käferflug dann von null auf tausend. Das hat uns vielerorts überrascht. Viele Reviere waren zu der Zeit auf einem guten Weg und hatten sehr viel Schadholz aufgearbeitet. Weil aber viele Käfer im Boden überwinterten, mussten wir einen starken ersten Borkenkäferflug beobachten.

Wie ging es weiter?

Danach hat sich die Lage wieder beruhigt – dank des Wetters. Aus diesem Grund gab es in diesem Jahr „nur“ zwei Käfergenerationen. Zum Flug, Mitte Oktober, herrschte wieder nasskaltes Wetter, sodass der Befallsdruck vergleichsweise niedrig war. Derzeit stecken die Borkenkäfer unter der Rinde, weshalb die Aufarbeitung für uns bis zum Ende der Winters oberste Priorität hat. Wir stehen besser da als in den Vorjahren, können aber nur durch konsequentes Aufarbeiten und weiterhin passendes Wetter die Kalamität eindämmen.

Wenn die Fichte in NRW eine Chance hat, dann im Hochsauerland – hieß es mal. Ist das so?

Wir sind – landesweit betrachtet – auf dem „Kalamitätszeitstrahl“ weit hinten. Wir haben vielerorts noch viele grüne Fichten. Darum sehen wir auch realistische Chancen, jüngere und mittelalte Bestände halten zu können. Nichtsdestotrotz weiß so manche grüne Fichte noch nicht, dass sie tot ist. Wir haben festgestellt, Käfer lesen keine Fachbücher. Damit meine ich, entgegen der Lehrmeinung sind Fichtenbestände am Rothaarkamm in über 600 m N. N. ebenso abgestorben, wie an gut wasserversorgten Nordhängen.

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Was bedeutet das für die noch gesunden Fichtenbestände?

Die Kalamität hat massiv Arbeitskapazität gebunden, sodass wichtige Arbeiten liegen bleiben mussten. So gibt es teilweise erhebliche Pflegerückstände in allen Beständen, egal welchen Alters. Die verbliebenen Fichtenbestände werden wir zeitnah umzubauen, sofern noch nicht geschehen. Zudem wird in der Fichte künftig eine andere Wirtschaftsweise nötig sein, beispiels­weise in Form von gestaffelten Durchforstungen. Weg von Reinbeständen, hin zu arten- und strukturreichen Mischbeständen.

Wie hat sich der Vorrat bzw. der Baumartenanteil seit Friederike (2018) verändert?

Mit etwa 100.000 fm Schadholz hat Friederike unser Forstamt vergleichsweise harmlos getroffen. Die Käferschäden hielten sich im Rest des Jahres auf einem überschaubaren Niveau. Erst 2019 entwickelte sich im Raum Sundern, Meschede und der Medebacher Bucht die jetzige Käferproblematik. Ab dem Sommer 2020 sind die Schadholzmengen explodiert. Der Käfer kommt sozusagen vom starken Ende, das heißt, die vorratsreichen Altbestände sind zuerst betroffen.
Wir rechnen zum Jahresende mit 3 Mio. fm Schadholz. Das entspricht etwa einem Viertel unseres Fichtenvorrats im Forstamt.

Gibt es groß angelegte Projekte für den Fichtenschutz?

Zusammen mit den angrenzenden Forstämtern Siegen-Wittgenstein und Kurkölnisches Sauerland in Olpe haben wir 2020 auf Grundlage von Satellitenauswertungen eine schwerpunktmäßige Sicherung noch vitaler Fichtenkomplexe gestartet. Kern des Projekts war intensives Monitoring und die sofortige Aufarbeitung und Abtransport des Käferholzes. Hierzu haben wir Personal umgeschichtet und auch zur Verfügung gestellt bekommen. Vielfach haben wir gute Ergebnisse erzielt und einige Bestände retten können, die ich persönlich vorher mehr oder weniger abgeschrieben hatte. Die anhaltend trockene Witterung i m Jahr 2020 und die sehr hohe Käferanzahl haben uns insgesamt aber nur wenige Chancen gelassen.

Wie schätzen Sie die Situation in den Betrieben ein?

Im Forstamtsbereich haben wir 15 Nadelholz-Sägewerke, für die die Perspektive durch die Fichtenverluste schlecht ist. Für unsere Privatwaldbesitzer ist die Lage nicht besser. Durchschnittlich bewirtschaftet jeder Waldbesitzer in der Region 11 ha Wald. Besonders viele landwirtschaft­liche Familienbetriebe sind gleichgewichtig aufgestellt. Sie waren in den Trockenjahren doppelt betroffen: Fichtensterben und Futtermangel. Die Kommunalforstbetriebe haben erhebliche Einschnitte in ihren Haushalten, in Form geringerer Einnahmen und höherer Ausgaben.
Die Kleinprivatwaldbesitzer haben oftmals eine sehr große emotionale Bindung zum Wald. Hier spürt man weniger finanzielle Sorgen, sondern wirklich emotionale Verluste. Insgesamt ist die Betroffenheit aber auch in der Bevölkerung deutlich spürbar. Wir wohnen hier in einer waldreichen ­Region, in der sich das Landschaftsbild drastisch ändert. Das lässt kaum jemanden „kalt“.

Ihre Prognose: Ist die Fichte auch künftig die Hauptbaumart in Ihrem Forstamtsbereich?

Die Fichte wird weiterhin eine prägende Baumart in der Region sein, allerdings nur in Mischung zukunfts­fähig. Die Veränderungen haben lange vor Kyrill 2007 eingesetzt. Viele Reinbestände wurden strukturdurchforstet und mit weiteren Baumarten angereichert. Im Mischbestand und am passenden Standort ist die Fichte sicherlich ­eine zukunftsfähige Baumart.
In keinem Fall dürfen die Ziele „einmal Fichte geht noch“ oder „Douglasie rein“ statt „Fichte rein“ heißen. Letztlich entscheidet aber der Eigentümer, was in seinem Wald wächst.

Neben der Fichte leidet vor ­allem die Buche unter den Folgen der Trockenheit: Wie geht es der Baumart?

Auch wenn der Buchenanteil bei uns nur 20 % ausmacht, ist die ­Buche unser zweites Sorgenkind. Von den Buchenbeständen älter 120 – im Forstamtsbereich etwa 3300 ha, zeigen die Hälfte deut­liche Schäden in Form von Kronenverlichtung, Trocknis oder Komplettausfällen. Das betrifft vor allem Buchenalthölzer in den Hochlagen des Rothaarkammes. Das ist folgenreich. Anders als Fichtenholz findet bei der Buche eine schnelle Holzentwertung statt. Das bedeutet kaum noch Einnahmen aus dem Holzverkauf für die Forstbetriebe. Außerdem wird das Schadholz schnell spröde, wodurch die Ernte sehr gefährlich ist. Eine Gefahr besteht auch für die Waldbesucher. Nicht zuletzt bringt das Buchensterben Verschlechterungen der Erhaltungszustände in kartierten Buchen-Lebensraumtypen, zum Beispiel in FFH-Gebieten, mit sich.

Ist die politische Forderung „mehr Buche“ aus Ihrer Sicht für diese Region richtig?

Wir haben in Deutschland eine große Verantwortung für den Erhalt der Buchenwaldgesellschaften. Im schnell voranschreitenden Klimawandel erlebt die Baumart aber massive Vitalitätseinbußen. Darum muss die Diskussion um die Geeignetheit der Buche erlaubt sein. Perspektivisch wird es auf die Anpassungsfähigkeit der Baumart ankommen. Grundsätzlich müssen wir uns aber auch über Buchen anderer Herkünfte Gedanken machen.

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