Aktuell befinden sich in Nordrhein-Westfalens Wäldern zwei Wind­energie­anlagen im Bau. Geplant sind allerdings sehr viele mehr. Foto: Mario Hagen/stock.adobe.com
Windenergie im Wald

Der Wald ist keine Tabuzone

Windkraftstandorte im Wald wurden aus politischem Willen bisher weitestgehend abgelehnt. Rechtlich sind sie aber durchaus möglich, erklärt Andreas Wiebe, Leiter von Wald und Holz NRW.

Herr Wiebe, wie viele Windenergieanlagen (WEA) gibt es derzeit und wie viele sind in Planung?

Mit Stand Ende September 2021 sind in Nordrhein-Westfalens Wäldern 102 Windenergieanlagen in Betrieb. Davon stehen 51 Anlagen im Privat-, 48 im Kommunal- und drei im Staatswald. Zusätzlich ­befinden sich 229 WEA im Genehmigungsverfahren, zwei Anlagen sind derzeit im Bau und 15 Anlagen befinden sich kurz vor dem Bau. Die erste Anlage ist übrigens vor gut 20 Jahren in Kirchhundem, Kreis Olpe, gebaut worden.

Warum werden derzeit so viele WEA geplant?

[ihc-hide-content ihc_mb_type=“show“ ihc_mb_who=“4,7″ ihc_mb_template=“3″]

Sie finden das viel? Wir brauchen den Wald als Standort für Windkraft, damit wir unsere Klimaschutzziele erreichen. Ich erwarte daher künftig viel mehr Wind­energieanlagen – auch im Wald – als im jetzigen Genehmigungs­verfahren sind.

Andreas Wiebe, Leiter von Wald und Holz NRW

Welche Standorte sind nach geltendem Erlass der Landesregierung für WEA geeignet bzw. genehmigungsfähig?

Die Kalamitätsflächen sind aktuell in der Wahrnehmung. Ich persönlich sehe hier keine besondere Eignung bzw. bessere Eignung als in einem lebendigen Fichtenaltersklassenwald. Gleichwohl halte ich es für Privatwaldbesitzer sinnvoll, eine WEA auf einer Kalamitäts­fläche zu errichten. Denn bis die Familienbetriebe auf den jetzigen Schadflächen wieder Holz ernten und Einnahmen erzielen können, dauert es Jahrzehnte. Aus diesem Blickwinkel sind WEA auf Kala­mitätsflächen sicherlich anderen Waldstandorten vorzuziehen.

In Ostwestfalen-Lippe – beispielsweise – hat der Regionalplan den Bau von WEA im Wald kategorisch ausgeschlossen. Wie ist das möglich?

Das war übrigens nicht rechtens. Grundsätzlich ist der Bau von WEA im Außenbereich privilegiert. Die allgemeine Privilegierung kann aufgehoben werden, wenn es Flächennutzungspläne mit Windkonzentrationsflächen gibt. Die Voraussetzung dafür ist: Der Flächennutzungsplan räumt der Windkraft einen substanziellen Vorrang ein. Kurzum: Die Windenergie darf in Teilbereichen, wie dem Wald, nicht unmöglich gemacht werden.

2018 wurden die Städte und Gemeinden mit dem Windenergieerlass aufgefordert, sogenannte Vorrangflächen im Flächennutzungsplan für den Bau von WEA auszuweisen auch im Wald?

Mit dem Windenergieerlass von 2018 hat die Landesregierung die Planung von WEA grundsätzlich auf die Gemeinden delegiert. Schon damals wurden als Windkraftstandorte auch Wälder berücksichtigt, sofern sie keinem beson­deren, gesetzlichen Schutz unterliegen.
Allerdings hat man sich damals einem Zielkonflikt hingegeben: Die Windenergieanlagen sollten möglichst weit weg von Bebauungen errichtet werden, aber möglichst nicht im Wald – so der ­politische Wunsch. In der Praxis funktioniert das nur selten, zum Beispiel im Münsterland oder der Soester Börde.

Was, wenn es keinen Flächennutzungsplan gibt?

In dem Fall gilt wieder die all­gemeine Privilegierung. Für die Gemeinde bedeutet das: Sie kann nicht mehr steuern, wo Windparks entstehen können.

Ohne Flächennutzungsplan hat also jeder Waldbesitzer die Aussicht auf Genehmigung einer WEA?

Das ist richtig – zumindest planungsrechtlich. In der Praxis sieht das dann schnell anders aus.

Ist die Aufstellfläche einer WEA eigentlich weiterhin Wald oder gilt etwas anderes?

Für die Standfläche einer WEA und die Kranaufstellfläche sowie eine gegebenenfalls erforderliche Zuwegung ist eine dauerhafte Waldumwandlung nötig. Als Flächenkompensation fordern wir als Forstbehörde immer einen Ausgleich von mindestens 1 : 1. In waldreichen Gebieten, genauer ­gesagt ab 60 % Waldanteil in der Gemeinde, ist auch eine qualitative Aufwertung vorhandener Waldflächen möglich. Das umfasst dann beispielsweise die Entfichtung von Bachtälern oder den Voranbau von Nadelholzbeständen mit Laubholz. Kurz gesagt: Der ökologische Wert muss messbar steigen.

Wie viel Fläche „verbraucht“ eigentlich eine WEA?

Je nach Gelände sind das 0,35 bis 0,45 ha pro Anlage inklusive Kranauf­stellfläche. In Ausnahmefällen können es auch 0,6 ha sein. Der Flächenverbrauch ist also äußerst gering, verglichen mit einer Freiflächen-Photovoltaikanlage.

Wie schätzen Sie das Potenzial als alternative Einnahmequelle einer WEA für Waldbesitzer ein?

Die Windenergie ist ein wichtiger ökonomischer Beitrag, der gleichzeitig die Ursache der Klimaschäden im Wald senkt. Finanziell ist „nur“ für die Pacht pro Jahr und Anlage ein mittlerer fünfstelliger Betrag für den Waldbesitzer erzielbar. Die Einnahme muss aber immer in Relation zu den übrigen Erträgen des Forstbetriebs gesehen werden. Für einen Kleinprivatwaldbesitzer ist das eine riesige Einnahme, im Großprivatwald vielleicht nicht mehr als ein ­Zubrot.

Ein „Kuchen“, von dem auch der landeseigene Wald ein Stück abhaben möchte?

Als Landesbetrieb sind wir in der Verantwortung, die Energiewende mit voranzubringen. Bislang haben wir Windenergieprojekte oft gemeinsam mit „Waldnachbarn“ umgesetzt. Aus meiner Sicht ein Erfolgsfaktor, weil es die Akzeptanz für das Projekt erhöht. Im Staatswald besteht ein großes Windkraftpotenzial. Für mich geht es dabei aber weniger um die Einnahmen, sondern um den Klimaschutz. Insgesamt hoffen wir beim Windenergieausbau auf mehr Unterstützung aus Düsseldorf.

Wie hoch schätzen Sie das Poten­zial für Windenergie im Wald in NRW ein?

Das ist keine leichte Einschätzung, weil sie von vielen Faktoren abhängt. Daher schwankt die Zahl sehr: Wir sehen ein Potenzial von zusätzlichen 500 bis 1000 Anlagen im Wald in NRW. Allein auf den Kalamitätsflächen besteht ein Potenzial von etwa 600 Anlagen.

Wie schnell könnte das Windpotenzial im Wald erschlossen werden?

Das hängt maßgeblich von den künftigen Rahmenbedingungen ab. Klar ist, wir müssen beim Ausbau sehr viel schneller werden. Wer dieser Tage seine Stromrechnung bezahlen musste, wird mir zustimmen.

Wie stehen Sie persönlich zum Thema Windenergie im Wald?

Zunächst finde ich als Ingenieur eine WEA technisch hochinteressant. Insofern ist meine persön­liche Akzeptanz vielleicht „von Haus aus“ höher, als bei anderen Mitbürgern. Kritiker kann ich oftmals verstehen. Durch den Bau ­eines Windrades verändert sich das Landschaftsbild, was erst mal gewöhnungsbedürftig ist. Als Teil der Energiewende brauchen wir die Windkraft – auch im Wald – aber dringend. Darum hoffe ich, dass die Zahl der Kritiker und Skeptiker stetig sinkt. Kevin Schlotmann

Höhere Anlagen – bessere Effizienz

Formell sind Windenergieanlagen im Wald schon immer erlaubt gewesen. Der zunehmende Bau ist dem technischen Fortschritt geschuldet: Denn mit steigender Anlagenhöhe sind die Anlagen auch im Wald lukrativer geworden. Der Wind darf nicht verwirbelt werden, um einen höchstmöglichen Wirkungsgrad zu erzielen. Weil die Bäume allerdings für Verwirbelungen sorgen, sind gewisse Anlagenhöhen für einen effizienten Betrieb nötig. Diese gibt es inzwischen.

[/ihc-hide-content]