Der Orkan Friederike – hier ein Archivfoto – verursachte mit rund 2 Mio. Festmeter Sturmholz deutlich geringere Schäden, als der Sturm Kyrill elf Jahre zuvor. Die nachfolgenden Waldschäden haben allerdings ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht und nehmen regional noch zu. Foto: Schlotmann

Aufforstung wird sich auszahlen

Der Orkan Friederike zerstörte vor fünf Jahren große Teile des Waldes in NRW. Gleichzeitig markiert der Sturm den Beginn der anhaltenden Waldschäden durch Käferfraß und Witterungsextremen. Was können wir aus dieser Krise lernen?

  • Herr Dr. Petercord, was macht Friederike (Januar 2018) gegenüber vorherigen Stürmen wie ­Kyrill (Januar 2007) so besonders?
Dr. Ralf Petercord leitet das Referat Waldbau, Klimawandel im Wald und Holzwirtschaft im NRW-Landwirtschaftsministerium.

Dr. Petercord: Friederike hat in Nordrhein-Westfalen rund 2 Mio. Festmeter Sturmholz verursacht. Gegenüber Kyrill sind die Schäden bei Friederike deutlich geringer gewesen. Die Witterungsbedingungen im Anschluss – speziell die Trockenheit im Jahr 2018 – waren besonders und unvorhersehbar. Insgesamt ist der Wald durch Sturm, Wassermangel und Insektenfraß massiv geschädigt worden. Das Schadausmaß beträgt inzwischen mehr als 135.000 ha.

  • Die Windwurfschäden waren also überschaubar. Die Borkenkäferkalamität uferte hingegen völlig aus. Wurde das Problem zu spät erkannt?

Dr. Petercord: Ganz eindeutig ja. Der Käfer hat sich in den Windwürfen, besonders den Einzelwürfen, perfekt „versteckt“. Als es dann zum Stehendbefall kam, war er gleichzeitig überall. Das ist übrigens auch ein Unterschied zu Kyrill. Auf den Sturm folgte damals eine monatelange, vergleichsweise nasse Witterung. In jedem Fall plädiere ich dazu, Windwurf und Käferholz so schnell wie möglich aufzuar­beiten.

  • Sind die Waldbesitzer hinsichtlich der Sturmholzaufarbeitung von der Forstverwaltung falsch beraten worden?

Dr. Petercord: In NRW gab es bis dahin kaum größere Waldschutzprobleme. Heute zeigt sich: Damals hätten wir uns breiter aufstellen sollen, auch mit mehr Waldschutzexperten. Das gilt für unsere Förster und Waldbesitzer gleichermaßen.

Seit dem Trockensommer 2003 war klar: Die Zukunft der Fichte ist begrenzt. Die aktuelle, rasant verlaufende Kalamität hat viele Förster in ihrer Meinung bestärkt. Dadurch wurde die Fichte zu früh abgeschrieben. Wir hätten durch konsequenteres Handeln gerade in der Anfangsphase ab Herbst 2018 den Schadumfang abmildern können.

  • Experten sehen die hohen Holzvorräte im Privatwald als mitverantwortlich für die Käferkrise. Zu Recht?

Dr. Petercord: Das stimmt. Durchforstungen und Pflegeeingriffe im Allgemeinen werden viel zu oft an hohen Holzpreisen festgemacht. Die Holzpreise nach Kyrill sind ab 2008/2009 wieder gestiegen. Viele Waldbesitzer haben ihr Holz dann nicht verkauft. Pflegerückstände und hohe Holzvorräte sind die Folge gewesen. Das hat sich gerächt und rächt sich im Klimawandel erst recht. Denn hier haben Schadorganismen leichtes Spiel.

  • Auch im Staatswald ist die Fichte flächig abgestorben. Aus demselben Grund oder passte die Fichte nicht mehr ins politische Waldbild?

Dr. Petercord: Fakt ist: 40 % des Fichtenvorrates von vor Friederike ist noch vorhanden. Es ist aber richtig, dass viele Fichtenbestände zu früh aufgegeben worden sind. Ein politischer Wille steckt aber eindeutig nicht dahinter.

  • Nach Beginn der Käferkalamität wurde die Task-Force Borkenkäfer gegründet. Was sind aus Ihrer Sicht die Ergebnisse dieser „schnellen Eingreiftruppe“?

Dr. Petercord: Die Task-Force Borkenkäfer hat sich als wichtige Plattform für den Austausch untereinander entwickelt. Hier sind viele Informationen und Anregungen weitergegeben worden, um die Struktur weiter zu verbessern. Meine wichtigste Erkenntnis ist: Eine derartige Krise ist nur gemeinsam lösbar.
Und unseren Kritikern möchte ich sagen: Die Bekämpfung des Borkenkäfers findet letztlich in der Fläche statt. Ein solches Gremium kann nur Anregungen geben und möglichst gute Bedingungen schaffen.

  • Schauen wir auf die Wiederbewaldung. Sie läuft ehrlicherweise schleppend und nur wenige Fördermittel wurden für die Wiederaufforstung abgerufen. Wo­ran liegt das?

Dr. Petercord: Da bitte ich um Verständnis, die Wiederbewaldung ist angelaufen, dauert aber ihre Zeit. Einige Waldbesitzer kämpfen noch gegen den Borkenkäfer und einige warten auch noch auf die Sukzessionsentwicklung. Darüber hinaus gibt es aber auch einen verständlichen Motivationsverlust und Unsicherheit.

  • Heißt: Die Waldbesitzer wissen angesichts des Klimawandels einfach nicht, was sie aufforsten sollen?

Dr. Petercord: Richtig. Was ist die richtige Baumart? Diese Frage beschäftigt uns natürlich auch. Die Holzerlöse aus der Schadholzaufarbeitung waren zum Teil desaströs. Niemand möchte jetzt Baumarten pflanzen, die womöglich dem Klimawandel doch nicht gewachsen sind und damit finanziell auch Schiffbruch erleiden.

  • Welche Baumarten könnten denn aus Ihrer Sicht dem Klimawandel gewachsen sein?

Dr. Petercord: Das große Problem sind die Witterungsextreme – lange Zeiträume ohne Niederschlag, hohe Temperaturschwankungen wie im Februar 2021 und Spätfröste. Klar ist: Nur weil es bei uns durchschnittlich wärmer wird, bekommen wir kein mediterranes Klima. Wer das behauptet, hat den Klimawandel nicht verstanden.

Was wir aus der Kalamität gelernt haben: Wir brauchen einen anpassungsfähigen Wald. Ich rate niemandem, unsere einheimischen Baumarten aufzugeben. Die Fichte wird sicherlich einen geringeren Stellenwert einnehmen. Aber auch sie sollten wir nicht ganz ­abschreiben. Wir werden uns sehr viel mehr mit genetischen Herkünften unserer heimischen Baumarten auseinandersetzen müssen. Eine pauschale Handlungsempfehlung will ich allerdings auch nicht liefern.

Die „Wunderbaumart“ gibt es nicht, vielmehr entscheidet weiterhin der Standort. Ich kann nur jedem empfehlen, die vorhandenen Hilfsmittel der Forstverwaltung zu nutzen und seinen Förster vor Ort um Rat zu bitten.

  • Mitnehmen, was natürlich wächst – empfehlen Experten immer wieder. Doch was, wenn sich Naturverjüngung einstellt, die nicht standortgerecht ist?

Dr. Petercord: Wir sollten den Vorwald nicht außer Acht lassen. Das stimmt. Und auch wenn sich großflächig wieder Fichte verjüngt, ist das kein Grund, sie direkt wieder abzuholzen. Es ist aber deutlich geworden, dass wir waldbaulich anders handeln müssen. Der schlagweise Altersklassenwald mit regelmäßigen Kahlschlägen ist schon lange keine gute fachliche Praxis mehr. Insgesamt muss allen Waldbesitzern klar sein: Es wird künftig mehr Pflege nötig sein. Auch eine Fichtennaturverjüngung lässt sich entwickeln und kann Grundlage für den Aufbau eines Mischwaldes sein. Insofern werden wir keine Mühen scheuen. Deutlich gesagt: Wer jetzt etwas pflanzt und erst in zehn Jahren schaut, was daraus ­geworden ist, wird eine Bauchlandung hinlegen.

Die zentrale Frage ist: Wie bekommen wir unsere Bäume schneller dick? Denn der Klimawandel und seine Folgen werden die Risiken erhöhen.

  • Mehr Pflege ist leicht gesagt. Viele Kyrillflächen haben – auch bedingt durch Friederike und seine Folgen – schon jetzt einen enormen Pflegerückstand. Muss die Forstverwaltung mehr Bewusstsein für aktiven Waldbau schaffen?

Dr. Petercord: Unbedingt! Wir müssen noch stärker beraten. Forstwirtschaft wird nicht einfacher. Deshalb werden wir passende Pflegekonzepte erarbeiten müssen.

  • Aber: 150. 000 ha Kalamitätsflächen, 50.000 ha Kyrillflächen und mehr als 200.000 ha Reinbestände, die dringend umgebaut werden müssen. Ein Pflegekonzept allein ist nicht die Lösung.

Dr. Petercord: Das stimmt. Auch die Motivation muss da sein. Und hier ist die Gesellschaft gefordert: Gute Holzpreise und eine hohe Wertschätzung für den Rohstoff Holz sind nötig. Wer mit seinem Wald Geld verdient, ist motiviert, seine Bestände zu pflegen. Für mich rückt die Honorierung der vielen Ökosystemleistungen des Waldes immer mehr in den Fokus.

  • Was können wir aus dieser ­Kalamität lernen?

Dr. Petercord: Die Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer können im Klimawandel nur gemeinsam bestehen und müssen entsprechend handeln. Die rasche Aufarbeitung des Schadholzes ist in derartigen Krisen der Schlüssel zum Erfolg. Nur ganz wenige können sich aber selbst Harvester und Rückeschlepper leisten. Oder haben zumindest eine gemeinsame Aufarbeitungsstrategie. Auch um langfristig markt- und wettbewerbsfähig zu bleiben, ist eine starke Gemeinschaft wichtig. Ein Denken und Handeln rein auf Ebene der eigenen Forstbetriebsgemeinschaft oder Waldgenossenschaft ist aus meiner Sicht nicht zukunftsfähig. Basis muss die forstwirtschaftliche Vereinigung sein.

Wir als Forstverwaltung müssen den Zusammenschlüssen bei der Professionalisierung helfen. Und eine für mich wichtige Erkenntnis: Wer Hilfe anbietet, darf nicht pauschal als Besserwisser abgewiesen werden.

  • Noch eine Frage zur Holzversorgung: Heimisches Holz wird knapper, neue Bezugsquellen werden sich eröffnen. Hat die Forstverwaltung ein Konzept, damit heimisches Holz dauerhaft wettbewerbsfähig bleibt?

Dr. Petercord: Heimisches Holz wird immer konkurrenzfähig bleiben. Dafür sprechen die steigenden Transportkosten und die wachsende, globale Nachfrage. Heimisches Holz mit kurzen Transportwegen wird an Stellenwert gewinnen, davon bin ich überzeugt.

Deshalb wird sich eine rasche Wiederbewaldung und kontinuierliche Bestandespflege langfristig auch auszahlen! Das ist in der Forstwirtschaft aber nichts Neues.